Der anspruchsvollste Kanu-Marathon im deutschen Breitensport erlebte im Juni 2020 seine 19. Auflage am Strelasund, trotz zahlreicher Auflagen ein voller Erfolg.
Seit Monaten hat die Orga um Gerhild und Stefan geplant, beantragt und nun das. Alles liegt still im Paddlerland Mecklenburg-Vorpommern. Die Corona-Krise hat alles zum Ruhen gebracht. Bootshaus: gesperrt, Steg: gesperrt, Veranstaltungen: abgesagt. Nichts geht mehr.
Ehrung der Orga
Soll alles umsonst gewesen sein? Erst einmal heißt es abwarten, wie und vor allem wann geht es weiter? „Den Marathon absagen können wir immer noch!“ Eindeutige Ansagen von Gerhild bedingen gezieltes Handeln. Die Vorbereitung läuft auf Sparflamme weiter. Gemeinsam mit dem neuen Vereinsvorstand wird bei den Ämtern der Hansestadt angefragt, ob eine Chance bestehe, den Marathon, unter Beachtung aller Vorschriften durchzuführen.
Doch erst einmal geht nichts. Deutschland ist im Ruhemodus. Ab Mitte Mai keimt langsam die Hoffnung, die Corona-Maßnahmen werden schrittweise reduziert. Doch die Sportanlagen bleiben immer noch gesperrt. Nach Himmelfahrt dann deutliche Schritte. Campingplätze dürfen 60 % ihrer Kapazität nutzen. Erste Urlauber dürfen wieder nach Mecklenburg-Vorpommern einreisen. Jetzt also den nächsten Versuch starten. Anfrage beim Gesundheitsamt mit einem konkreten Hygienekonzept, welches von Toiletten bis zur parzellierten Zeltwiese fast alles beinhaltet, was wir uns vor wenigen Wochen noch nicht einmal vorstellen konnten. Abgelehnt! Sch…
Aufgeben gilt nicht, also Hygienekonzept überarbeiten, jetzt zwei Konzepte, jeweils eins für den Hiddenseemarathon und eines für die Stralsunder Kanuwoche. Beides nochmals an das Gesundheitsamt schicken. Elf Tage vor Marathon, Jippi! Mit Auflagen beide Veranstaltungen genehmigt. Jetzt ist Stress pur angesagt.
Stefan hat seit Wochen in vielen Einzelschritten das Bootshausgelände auf Vordermann gebracht bzw. bringen lassen. Gerhild hat jetzt den Hut auf. Nur 40 Boote wurden zugelassen, verringerte Mannschaften auf den Begleitbooten, keine Massagen für die Starter nach dem Wettkampf, kein Getränkewagen, kein geselliger Abend, Abstandsregel 1,5 m überall einzuhalten, und, und, und.
Die Helfercrew des Stralsunder Kanuclubs steht voll zur Verfügung. Alle Positionen, welche benötigt werden, sind namentlich festgelegt. Laut Genehmigung sind keine Zuschauer auf Steg und Bootshausgelände gestattet, das tut weh.
Die nächsten Tage bis zur Anreise sind für die Orga reinster Stress.
Freitag, 26.06. der Tag der Anreise: Seit Tagen wurden alle Wetterberichte strapaziert, in der Hoffnung, ein bestmögliches Wetterfenster für den Hiddenseemarathon zu erwischen. Die Prognose für den Marathontag sieht bestens aus.
14 Uhr: Die ersten Gäste rollen auf den Hof. Der sichtbare Stress ist jetzt nur noch bei der Anmelde-Crew zu finden. Hinter einem Plexiglas-Spukschutz erledigen sie die Anmeldung der Starter. Alle sind rechtzeitig vor Ort, alle grinsen. Es geht endlich wieder los!
18 Uhr: Einweisung der Begleitboote. Alle Bootsführer sind im Saal versammelt. Es wirkt wie eine fremde Szenerie, gestandene Männer mit Mundschutz nehmen die Einweisung entgegen in einem großen Saal. Sonst waren die ersten beiden Stuhlreihen locker gefüllt, dieses Mal sitzen sie im Saal verteilt. Die Telefonnummern der Boote werden nochmals abgeglichen, Liegepositionen der Kontrollboote letztmalig abgestimmt, Meldeketten besprochen. Alle neun Bootsführer sind informiert.
20 Uhr: Einweisung der Starter. Der Saal ist fast leer und dennoch voll. Vor drei Stunden haben wir die Plätze vermessen, um einerseits alle Starter hier zur Einweisung begrüßen zu können, andererseits die notwendigen Abstände zwischen den Startern einzuhalten. Die Teilnehmer sind sehr diszipliniert, nur wenige Sportfreunde rücken näher zueinander, jedoch nur solche, welche zusammen sitzen dürfen.
Begrüßung und einleitende Worte. Die Rennleitung wird vorgestellt. Dann die Befahrungsregeln des Nationalparkes „Vorpommersche Boddenlandschaft“ durch den ein großer Teil der Marathonstrecke verläuft, einschließlich der Streckenkarten vorgestellt. Parallel die Vorstellung der Strecke mit Bildern der wichtigsten Streckenpunkte und Orientierungshilfen in der Landschaft aus der Paddlerperspektive. Abschließend die obligatorische Telefonnummer für den Notfall. Wenige Fragen der Teilnehmer, dann ist alles Wichtige erklärt. Die Augen der Starter im Saal, mehr ist hinter dem Mund-Nasen-Schutz nicht zu sehen, strahlen vor Erwartung. Es geht endlich wieder los! Alle bekommen die besten Wünsche für den Wettkampftag mit auf den Weg und werden dann in den Abend entlassen.
Einige unterhalten sich noch im Kanulager, relativ schnell kehrt Ruhe ein.
Samstag: 27.06. - 19. Hiddenseemarathon
Früh gegen fünf Uhr kommt Bewegung im Camp auf, Morgentoilette, Frühstück, letzte Korrekturen am Boot. Eine knappe halbe Stunde vor dem Start des Hauptfeldes gehen die ersten Boote vom Ponton ins Wasser. Der Strelasund liegt spiegelblank, die Sonne scheint durch den Morgendunst. Es wird ein schöner, sonniger und sehr warmer Tag. Immer mehr Boote werden zum Steg getragen und geschoben. Die Begleitboote empfangen ihre Signalbojen sowie die Starter- und Telefonlisten. Fast pünktlich erfolgt der Start um 6:01 Uhr. Die Wasserschutzpolizei und Stralsund Trafic werden informiert, daß das Rennen gestartet wurde. Jetzt ist eine Stunde Zeit bis zum zweiten Start. Wir sehen die Boote am Parower Haken verschwinden. Die Autos mit den Staffel-Startern fahren zum ersten Wechselpunkt nach Barhöft vom Hof.
Dann Punkt sieben Uhr starten die schnelleren Paddler. Sie werden die letzten Paddler des Hauptfeldes etwa am Gellen, danach beginnt die Ostsee, eingeholt haben. Ab dort haben die Begleitboote dann ein relativ kurzes Feld auf der Ostsee abzusichern.
Bereits vor neun Uhr meldet der erste Kontrollpunkt, die „Strela“ mit der begleitenden Ärztin an Bord, das alle Boote durch und auf der Ostsee sind. Ab jetzt wird dieses Boot das Ende des Feldes absichern und wenn nötig Unterstützung geben. Es wird ein schnelles Rennen. Bis auf die Ostsee hinaus waren Strömung und Wind mit den Sportfreunden.
Entlang der Außenküste von Hiddensee arbeiten sich die Boote nach Norden. Der erste Starter gibt auf, leider. Ein Begleitboot der DLRG wird ihn samt Boot in Schaprode absetzen, von dort ist eine Rückholung organisiert. Ein weiteres Boot bleibt weit hinter dem Starterfeld zurück. Nach etwas über fünf Stunden bestimmt die Rennleitung das Aus für dieses Boot. Es kann bei seinem Fahrtempo die maximale Zielzeit nicht mehr erreichen. Meldepunkt Zwei stellt durch, dass alle 38 Boote, welche noch im Rennen sind, an ihm vorbei sind. Die ersten Starter sind bereits auf dem Schaproder Bodden und somit auf dem Weg zurück nach Stralsund. Meldung auf Meldung erreicht die Rennleitung. Ab zwölf Uhr Spannung auf dem Bootshaussteg und der Uferpromenade. Wann kommen die führenden Boote in Sicht? Dann das erste, nein gleich drei Boote am Horizont, noch etwa fünf Kilometer entfernt. Sie liefern sich ein hartes Rennen bis kurz vor dem Ziel. Der Sieger, um sechs Uhr gestartet, ist überglücklich. Sein erster Hiddenseemarathon und dann gleich als erster vom Hauptfeld im Ziel. Die Plätze zwei und drei fahren einig und zufrieden parallel über die Ziellinie, also zwei zweite Plätze. Dann geht es wie beim Brezeln backen. Kurz nach 17 Uhr ist das letzte Boot im Ziel. Insgesamt haben 38 Boote aus eigener Kraft die Ziellinie erreicht, erschöpfte Gesichter nach 70 km paddeln, befreites Grinsen, Dankbarkeit, das sie dabei sein durften und nun die Boote von Helfern vom Steg getragen werden. Die letzten Begleitboote gehen auf Kurs Feierabend. Abmeldung bei Wasserschutz und Stralsund Trafic, dann steht nur noch die Siegerehrung aus.
18:20 Uhr: Siegerehrung einmal anders
Alle Starter werden beim Hiddenseemarathon geehrt. Zwar geht es auch hier um Zeiten, Platzierungen, aber vor allem um den inneren Schweinehund, wenn Mann oder Frau 70 km am Stück oder als Staffel paddeln wollen. Neben den Urkunden und einem Andenken für die Starter gibt es einige kleine Anekdoten vom Tag und Blumen für Gerhild und Stefan. Ein mündlicher Dank geht an alle Helfer und Unterstützer, ohne die eine solche Veranstaltung nicht funktionieren würde, sowie an die Verantwortlichen vom Gesundheitsamt, welche mit ihrem Mut zur Genehmigung den Hiddenseemarathon 2020 erst wieder ermöglicht haben.
Kein Händeschütteln wie in den Vorjahren, kein Schulterklopfen oder gar Umarmungen mancher Teams. Dennoch herrscht eine tolle Stimmung und alles strahlt, alle sind glücklich. Danach, über den Hof verteilt, sitzen die Sportler und genießen Ihren Erfolg, lassen noch einmal die Landschaft, das Wetter und die schönen Erinnerungen Revue passieren, Fachsimpeln, planen weitere Touren. Eben ein ganz normaler Klönschnackabend, nur eben zu Coronazeiten.
Morgen geht es für die meisten der Starter wieder nach Hause. Fast alle wollen im kommenden Jahr erneut mit dabei sein, am letzten Samstag im Juni, zum dann 20. Hiddenseemarathon.
Nur wenige Marathon-Starter bleiben zur direkt anschließenden Stralsunder Kanuwoche, doch die Stralsunder Kanuwoche ist schon wieder eine andere Veranstaltung.
Text: Dirk Ulrich, Stralsund
Fotos: Stralsunder Kanuclub e.V.